Endlich Urlaub. Also für meine Frau. Mein Dauerurlaub hat ja schon im April begonnen. In der Theorie zumindest.
Seniorentechnisch mussten wir unsere aktuellen Urlaubspläne über Bord werfen. Geplant war wieder ein Besuch bei der Familie im Norden. Aber – kam mal wieder anders. Da aber ein Tapetenwechsel dringend nötig war, überlegten wir wo es wenigstens für ein paar Tage hingehen soll.
Folgende Kriterien waren zwingend vorgegeben: Nicht allzu weit weg, da wir am Freitag nochmal über das Wochenende nach Hause müssen. Wichtige Seniorenangelegenheiten erfordern unsere Anwesenheit.
Schön soll es sein, ruhig soll es sein und Wasser. Wasser musste auf jeden Fall sein, denn Wasser beruhigt uns ungemein. Und Ruhe war dringend notwendig. Dass wir später noch Zeugen eines weltbekannten Phänomens – einer besonderen Laune des Universums – werden würden, konnten wir bei der Planung nicht ahnen. Doch dazu später mehr.
Nun ist es ja so, dass die Kombination Wasser, Ruhe und Schön eine ziemliche Herausforderung bei der Planung ist und nicht immer funktioniert. Lizzy hat das mal sehr gut beschrieben.
Nach erstaunlich kurzer Suche entschieden wir uns für einen Stellplatz am Mittellandkanal in Minden.
Minden? Wie kommt man jetzt darauf? Ganz einfach. Stand im NRW Reiseführer. Da sollte man mal hin. Deshalb: ab nach Minden.

Der Stellplatz ist wirklich schön direkt am Kanal gelegen. Nicht so voll und recht ruhig.
Also Stühle raus, in die Sonne gelegt und Schiffe gezählt. Nach drei Schiffen sind wir eingepennt. Egal.
Nachdem wir wieder beigekommen waren, schwangen wir uns auf die Räder und ab Richtung Stadt. Naja … ganz nett, einmal kucken reicht eigentlich. Die Nachtwächterführung war allerdings famos. Hexen- und Medicusführungen kann man auch noch buchen. Seit 2020 hat Minden sogar wieder einen Henker. Also nicht um anderen die Rübe abzuhacken, sondern zum Geschichtenerzählen. Ist auch besser so.
Aber hat Minden ja noch Gegend. Jede Menge Gegend sogar. Und die ist recht fein. Das Radwegenetz ist sehr gut ausgebaut. Was wir allerdings auf den Touren vermisst hatten, sind die Möglichkeiten, mal irgendwo auf ´nen Kaffee anzuhalten. Da gab es nix. Aber auch gar nix. Mag aber auch an der Routenplanung gelegen haben. Wer weiß es schon…
Auch ja … und sogar die Innenstadt hat erstaunlich viele und gut ausgebaute Radwege und Fahrradstraßen. Die Stadt lässt sich also mit dem Rad gut erkunden.
Das Männer-Stellplatz-Stromkasten-Phänomen
Eine Sache will ich aber noch erzählen.
Hier kam es am Donnerstag Abend nämlich zu dem auf jedem Camping- und Stellplatz weltweit bekanntem Männer-Stellplatz-Stromkasten-Phänomen. Eine besondere Laune der Natur, wenn nicht gar des gesamten Universums.
Nachdem es wie aus Eimer gekübelt hatte, versammelte sich die Campergemeinde, als die Sonne raus kam, wieder wie üblich vor ihren WoMos, als plötzlich unsere Nachbarin rief:
„Habt ihr Strom? Wir haben keinen Strom. Hermann – wir haben keinen Strom.“
Hermann war noch ganz bei seinem Gitarrenspiel und hatte die Ansage seiner Frau nicht sofort mitbekommen.
„Ich kuck bei uns mal“, sagte ich daraufhin. Und tatsächlich. Auch wir waren stromlos. Plötzlich die Nachbarin, nun etwas energischer: „HERMANN. Wir haben keinen Strom. Kuck mal daaa!!! Da fummeln zwei an unserem Stromkasten rum. Das gibt‘s doch nicht. Die haben doch ihren eigenen Stromkasten. Was soll das denn jetzt? HERRRMANN…“
Die „Zwei“ waren die Angler von vorne. Die standen jetzt nämlich mit ihrem Kabel in der Hand hilfesuchend vor „unserem“ Stromkasten. Aber nicht mit Hermann. Der kam nämlich nach der Ansprache wieder schlagartig ins Diesseits zurück und stürmte zum Stromkasten, der direkt hinter unseren WoMos stand.
Dem Gesetz des Phänomens folgend, begab ich mich selbstverständlich auch zu „unserem“ Stromkasten, um aktiv bei der Ursachenforschung zu unterstützen. Ich hab zwar überhaupt keine Ahnung von Strom – ABER ich kann ein wichtiges Ich-kenn-mich-aus-Gesicht machen, zustimmend nicken und um einen dummen Spruch bin ich sowieso nie verlegen. Die Voraussetzungen, um weitern Schaden anzurichten oder abzuwenden – je nachdem, was gewünscht ist – liegen vollumfänglich vor. Deshalb: hinterher hinterm Hermann.
„Seid ihr bekloppt?“ fauchte Hermann. „Erst haut ihr eure Sicherungen raus und jetzt auch bei uns? Ihr habt Feuchtigkeit im Kabel. Das müsst ihr messen. Das geht so nicht. Ich hab da was dabei zum Messen. So geht das nicht. Das ist nämlich so, wenn da Feuchtigkeit ist fliegt der FI.“
Ich stand wichtig daneben und überlegte, ob das wohl so richtig sein könnte. Denn ein zustimmendes Nicken bekommt man von mir nicht einfach so. Das Strom und Wasser sich wirklich nicht vertragen, hatte ich schon gehört. Klang also schlüssig. Von mir gab es daher das zustimmende Nicken.
Ich muss ja zugeben, ich hatte Hermann schon ein wenig bewundert. So ein Fachwissen und die Fähigkeit zur treffsicheren und spontanen Analyse. Und alles ohne Prüfgerätschaften. So aus dem Lameng heraus … Respekt.

Zwischenzeitlich gesellte sich ein weiterer Nachbar dazu.
„Habt ihr auch keinen Strom?“
„Die haben Feuchtigkeit im Kabel.“
„Aber wir….“
„Na super. Legen den ganzen Platz lahm.“
„Aber wir…“
„Ihr müsst das messen. Ihr habt Feuchtigkeit…“, lamentierte Hermann.
Nachbar Nummer 4 erscheint am Set.
„Was ist los? Habt ihr auch keinen Strom?“
„Nee, die haben Feuchtigkeit.“
„Aber wir…“
„Mach doch mal auf die Kiste hier auf.“
Alle Sicherungen drin.
„Dann muss vorne der Haupt-FI rausgeflogen sein. Das kann dann nur der Chef was machen. Da bin ich raus.“ Sagte Hermann ein wenig enttäuscht.
„Kuck mal. Die 7. Die 7 ist das. Da liegt die Kupplung (Verbindung zwischen zwei Kabeln) auf der Wiese. Der war das.“
Äääh. Moment mal. Die 7 bin ich doch, denke ich mir.
„Geht‘s noch Alter? Als du die Kiste aufgemacht hast, ist der ganze Rotz unten rausgefallen.“ Ich weigerte mich Hermanns Analyse in Frage zu stellen und den Schuh wollte ich mit sowieso nicht anziehen. Unwissender. Muss ein ein Neuling sein.
„Ich kuck mal ob da Feuchtigkeit ist.“, sagte Hermann, der sich schlagartig in seine Rolle als Stellplatzelektriker zurückversetzt fühlte.
„Oh, das sitzt aber stramm. Kriegt man ja echt schwer auseinander.“
„Klar, Hermann. Soll ja auch kein Wasser dran. Und ist ja auch für draußen.“ Ich kenn meine Stecker.
„Neee, ist trocken.“
„Die 7 war das. Lag doch im nassen Gras.“
„Alter!!!… Echt jetzt?“
Nachbar Nummer 5 erscheint.
„Ich hab mal den Platzwart angerufen. Der kommt gleich und macht das fertig. Dann haben wir wieder Strom. Kommt schon mal vor, hat er gesagt. Keine große Sache.“
Die Angler nutzten die Diskussion um die 7, um sich klammheimlich aus dem Staub zu machen. Ich glaube, Hermann war ihnen ein wenig unheimlich.
Schade, denn die gingen bei der Runde Schnaps, die Nachbar Nr. 5 nun verteilte, leer aus. Es entwickelte sich schlagartig eine gesellige Runde in der Hermann statt Vorträge in Elektrotechnik nun zum Entertainer mutierte. Sehr vielseitig der Hermann.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich nun die ersten Frauen, die, die Arme in die Hüften gestemmt, argwöhnisch in unsere Richtung blickten.
Und dann dauerte auch nicht mehr allzu lange: „OLLIIII – Essen ist fertig.“
Weisungsgemäß lösten wir die Runde sofort auf.
„Wenn heute Nacht wieder der Strom rausfliegt“, sagte Olli im Gehen, „dann treffen wir uns wieder hier. Aber dann bringt jeder Bier mit.“
Der Strom lief bis zu unserer Abreise gestern tadellos. Ob Hermann dafür verantwortlich war, kann ich nicht beurteilen. Ich vermute es. Seine Aura schwebte sicherlich die ganze Nacht über dem Stromkasten.
Jedenfalls hocken wir jetzt wieder zu Hause und werden den ganzen Kram erledigen, der bis Montag noch gemacht werden muss. Am Dienstag soll es dann wieder los gehen. Nur wohin? Wettertechnisch scheint es in der gesamten Republik ja nicht so rosig auszusehen.
Also … vielleicht hat jemand eine Idee, dann immer her damit. Wir sind immer noch urlaubsreif.
10 Comments
Denis
Eine Geschichte, wie sie Helge Schneider erzählt hätte – herrlich. Als Ostwestfale (aber schon lange im Exil) kann ich nur bestätigen – Minden kann man mal gesehen haben. Muss man aber auch nicht.
Martin
Danke dir Denis … aber drumrum isset wenigstens schön. Hat sich also gelohnt 😁
Queen All
Sehr authentisch geschrieben, man hat das Bild der Experten-Runde direkt vor Augen 😂. Mich hätte ja schon interessiert, was die Ursache gewesen ist. Bei solchen Sachen komm ich nicht aus meiner Haut – Ingenieursstudium hinterlässt halt Spuren und dann noch mit einem Ex-Elektriker verheiratet…
Was die erneute Urlaubsplanung angeht, kann ich lediglich empfehlen, nicht nach Süddeutschland zu reisen. Wir haben hier noch Sommerferien und alles, was man bei schlechtem Wetter machen kann, ist gnadenlos überfüllt.
Wünsche trotz Regenankündigung einen schönen Tapetenwechsel!
Martin
Danke Vanessa. Ach das passiert eigentlich regelmäßig, insbesondere, wenn der ganze Bumms nur mit 6A abgesichert ist. Aber vermutlich hatte da jemand Feuchtigkeit 😜
Lizzy
Jaja, die Hermänner … die kennt eine oft allein reisende Frau besonders gut. Weil sie ALLES wissen und zwar alles immer besser. Wie Stromkabel ab- und aufzuwickeln sind, Markisen verankert werden sollten, welche Ausrüstung viel besser ist als der wackelige Tisch vor dem Frauenmobil …
Das einzige, was sie von der direkten Übernahme der zu erledigenden Fremdaufgaben abhalten kann, sind die immer im Hintergrund lauernden Herminen, die zwar voller stolz im Hintergrund ihren Hermann eifrig nickend bestätigen solange er ganze Campingplätze oder Kumpelgruppen mit seiner Weisheit beglückt aber sofort misstrauisch und voller Abwehrspannung aus der Ferne die hermännschen Weisheitskundgebungen zu unterbrechen ansetzen, wenn diese einer allein reisenden weiblichen Person gelten.
Auch wenn diese weibliche Person Hermann zwischen bemüht höflich bis deutlich abwimmelnd schnell wieder von der Backe haben will. Zudem runzelig, mit Lockenwicklern im grauen Haar, warzenübersät mit Kippe im Mundwinkel oder sonstwie nicht sonderlich begockel-einladend aus dem Camper humpelt und keinen direkt sichtbaren Eifersuchts-heischenden Brandherd darstellt. Dann ist schnell das Essen fertig, Hermann muss am eigenen Zaun – Hermänner haben Zäune oder sonstige deutliche Abgrenzungen um ihre Reviere – was richten und wird ausnahmsweise auch bei Hermine benötigt.
Hermännchen sind in der Tat eine ganz eigene Spezies. Früher eher auf Campingplätzen heimisch gewesen aber nun streckenweise auch in Wohnmobile umgesiedelt. Sie gehören dazu!
Viel Vergnügen beim restlichen Urlauben und allzeit viel Wasser neben dem Fahrgestell!
Martin
👏👏👏 Danke für diesen tollen Kommentar Lizzy. Ohne Hermänner wäre es vermutlich etwas weniger unterhaltsam 😉
Flusskiesel
Sehr schöne Geschichte! Irgendwie hat jeder schon mal seinen Herrmann gehabt (egal, ob man Camper ist oder nicht). Oder man war auch mal selber einer … 😉
Irgendwie passt dazu diese Nummer von Till Reiners:
https://youtu.be/fwGKJtwfvrQ
Jeder Mann ist auch der TÜV. 😀
Martin
😂 Genau … die Hermänner sind überall
Britta Langhoff
Also, son bißken schade find ich et aber doch, datt der Strom des Nächtens nicht mehr rausgeflogen ist. Ich hätte zu gerne die Fortsetzung der Expertenrunde mit lecker Pilsken dabei gelesen.
Tolle Anekdote. So sind sie. Überall. Ob auf Campingplätzen oder Häfen. Was täten wir nur ohne sie ?
Martin
Ja wäre echt langweilig manchmal. Aber manchmal kannste nur den Kopf schütteln.